Ich putze meine Fenster und stutze: Was, wenn jetzt eine Rakete einschlüge und sie zersprengte? Wenn diese Rakete unser Haus zum Einsturz brächte und die kümmerlichen Reste verbrennen ließe? Und das Glück daraus bestände, dass sich niemand in unserem Haus aufgehalten hätte? Oder doch …
Ich sitze vor dem Fernseher und traue meinen Augen nicht. Ist das ein Film? Das kann doch nicht heute passieren! Das ist längst überwunden geglaubte Barbarei in Europa. Nach unserer Geschichte mit den zwei Weltkriegen, mit dem sinnlos geschürten Hass, mit dem ungeheure Ressourcen verschlingenden Wettrüsten während der Zeit des kalten Krieges!
Ich bin froh, dass mein Vater inzwischen verstorben ist. Diese Bilder hätten ihn in den Albtraum seiner Kindheit zurückbefördert, den er nie überwunden hat. Als Flüchtlingskind aus Schlesien verlor er seinen Vater. Der wollte Pferd und Wagen, auf dem seine kleinen Kinder und die Habseligkeiten der Familie lagen, nicht hergeben. Der Vater wurde zur Zwangsarbeit im Steinbruch verschleppt. Mein Papa hat ihn nie wieder gesehen. Meine Großmutter flüchtete allein mit den sechs Kindern, Hunger und Angst vor Vergewaltigungen waren die Begleiter, ein Kind überlebte die Strapazen nicht. Bis zum letzten Atemzug hat Papa das in sich getragen, die Angst und den Hass, acht Jahrzehnte lang. Wie viele Kinder werden jetzt das Grauen ein Leben lang mit sich schleppen? Wie schnell ist eine Seele zerschlagen, die Versöhnung wird Jahrzehnte, wenn nicht gar Jahrhunderte dauern.
Unser Überleben ist auch ohne Krieg in Gefahr, die Herausforderungen sind dringend und immens: der Klimawandel, die Bedrohung unseres Planeten durch die Zerstörung der Umwelt, allen Menschen Zugang zu sauberem Wasser, ausreichend Nahrung und Bildung zu gewähren! Schwere Krankheiten besiegen, die Pandemie in den Griff kriegen!
Und jetzt werden wir 100.000.000.000 Euro für Rüstung ausgeben? Was für ein Geldsegen wäre das zum Beispiel für die Wissenschaft! Wir sind Homo sapiens sapiens, laut Definition verständige Menschen, erkennbar am aufrechten Gang, dem leistungsfähigen Gehirn, der Sprache und dem Umgang mit Feuer! Letzteres ist gerade mangelhaft. Und auch die Sprache verfehlt ihre Wirkung. Der aufrechte Gang wird in Russland offensichtlich unterdrückt. Es ist eine Anmaßung, ein so riesiges Volk wie die Russen vom Informationsstrom abzuschneiden und manipulieren zu wollen.
Ich bin als Christin in der DDR aufgewachsen. Da war ich eher in kritischen Kreisen unterwegs, »Schwerter zu Pflugscharen« war einer unserer Leitsprüche gewesen. Aber es blieb auch eine Idee vom Fortschritt in der klassenlosen Gesellschaft in mir verhaftet. Vielleicht wäre eine kommunistische Gesellschaft doch die gerechtere? Jetzt wird mir nachträglich eine gewisse Sympathie für diesen Gedanken ausgetrieben.
»An ihren Taten sollt ihr sie erkennen«, steht schon in der Bibel. Dem ist nichts hinzuzufügen.