Die Kunst der Freiheit

Birgit Lohmeyer

Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.

— George Orwell

Geht man nach den Fundstellen in einer der gängigen Suchmaschinen, wenn man »Kunstfreiheit« als Suchbegriff eingegeben hat, bestehen die zu 90 Prozent aus juristischen Websites und Foren und vermitteln den Eindruck, es würde sich – neben ein paar Feuilleton-Journalist*innen – kaum jemand außer Jurastudent*innen und ihren Profs mit diesem Begriff, dessen Implikationen und seiner Tragweite auseinandersetzen. 

Nun hat die Autorin Eva Menasse aktuelle Phänomene rund um die Freiheit der Kunst zum Anlass eines kurzen Essays genommen. Sie sieht die Kunstfreiheit aktuell in Gefahr durch Fragen nach Diversität, Diskriminierung und Zeitgeist, welche für sie zum Gradmesser der Freiheit der Kunst geworden zu sein scheinen.

Jenseits dessen, dass man Mücke-zu-Elefant-gleich auch gesellschaftliche Probleme groß schreiben kann, bewegt mich der Menasse-Artikel dennoch zur Frage, wie ich die Freiheit der Kunst in meinem Heimatbundesland MV erlebe.

Nach meinem Kenntnisstand haben wir in MV leider keine Kippenberger, Meeses, Billers, Schlingensiefs oder Bushidos. Zwar ist Danger Dan mit seinem bewusst mit der künstlerischen Freiheit spielenden »Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt« schon auf dem hiesigen Festival »Jamel rockt den Förster« aufgetreten, aber er ist eben kein hiesiger Künstler. Natürlich nicht, möchte ich beinahe ergänzen. 

Seit ich 2004 von Hamburg aus nach Mecklenburg gezogen bin, vermisse ich hier in meiner neuen Heimat nämlich schmerzlich eine widerständige, provokante Kunstszene mit politischem Anspruch und subversiven Aktionen. 

Viele der Künstlerinnen und Künstler, mit denen ich hier zu tun habe, gerieren sich eher wie Kunstlobbyist*innen oder ‑funktionär*innen. Das hat seine Berechtigung – wer soll den Kultusministeriumsangestellten denn sonst einen Einblick geben in das, was zeitgenössische Kunst, Musik, Literatur, Theater zu bieten hat und wo Bedarfe an Unterstützung existieren. Doch wenn sich Künstler*innen einzig die monetäre Kulturförderung auf ihre politische Agenda schreiben, ohne die permanent notwendige Kritik am (kulturpolitischen) Staatswesen zu betreiben, dann sind sie ähnlich systemkompatibel wie die braven (staatlich geförderten) Kolleg*innen zu DDR-Zeiten. 

Die DDR hat in dieser Hinsicht wohl jahrzehntelang ganze Arbeit geleistet. Zu DDR-Zeiten wurden die Schreibenden nicht veröffentlicht, erhielten Musiker*innen keine Spielerlaubnis, wenn ihre Werke nicht als »staatstragend« erachtet wurden. In den anderen künstlerischen Sparten sah es mit Sicherheit nicht anders aus.

Vermutlich ist es also ein Erbe der Kulturförderung in der DDR, dass sich hier in MV eine wirklich »freie« Kulturszene, die sich bewusst absetzt von staatlich alimentierter Kunstproduktion, so gut wie gar nicht etabliert hat (von den Hobbykünstler*innen, denen man getrost ein professionelles Anliegen absprechen kann, mal abgesehen). Ist das vorauseilender Gehorsam mit dem begierigen Blick auf die Fleischtöpfe des Kultusministeriums? Oder doch eher ein durchaus berechtigtes »Wir lassen den Staat und seine Organe nicht aus der Verantwortung für die Existenzen der Künstler*innen«?

33 Jahre nach dem Ende der DDR ist absurderweise eine Folgeerscheinung der friedlichen Revolution die Tatsache, dass die Grenzen der Kunstfreiheit – zumindest hier in MV – nur sehr, sehr selten ausgetestet, ja kaum angekratzt werden. Selbst die Band »Feine Sahne Fischfilet« aus Greifswald hat sich längst von ihren früheren gewaltverherrlichenden Texten distanziert und verzichtet damit auf die, durchaus bestens als Marketinginstrument nutzbare, weitere Beobachtung durch den Verfassungsschutz MV.

In marktwirtschaftlich organisierten Gesellschaften hangelt sich jede/r ernstzunehmende Künstler*in mit nicht-künstlerischen Aushilfs- oder Nebenjobs durchs Leben, wenn er oder sie nicht von Haus aus mit Reichtum gesegnet ist. Klar, ein Stipendium beanspruchen wir alle gern mal, für eine finanzielle Förderung eines größeren Projekts lohnt sich sogar die vermaledeit-bürokratische Antragstellung bei Ministerien oder Kulturfonds. 

Doch stelle ich mir im Falle staatlicher Alimentierung immer Fragen wie »Verkaufe ich dadurch nicht in gewisser Weise meine autonome künstlerische Persönlichkeit? Verbiete mir zum Beispiel selbst die Kritik an den ewig gleichen staatlich geförderten Projekten, die so geschmeidig zum Landesmarketing MV passen und durchweg mehrheitsfähig sind? Wie kompatibel bin ich, will ich sein, damit eine Förderung infrage kommt? Ist der Staat vielleicht sogar mein Hauptauftraggeber? Wie frei kann meine Kunst dann sein?«

Ich persönlich verstehe die Kunstfreiheit als Aufforderung zu moralischer Grenzüberschreitung, zu Provokation und Gesellschaftskritik – mit Wut, Herz und Haltung und unterstütze von ganzem Herzen alle Künstler*innen, die sich um Empörung, Anfeindungen oder juristische Sanktionen in Bezug auf ihre Kunst nicht scheren.

Dazu passt Frau Menasses Haltung, dass Kunst und Alltag voneinander zu trennen sind, nur bedingt. Sicherlich, sie meint die Cancel Culture, das Diktat der politischen Korrektheit, hält beispielsweise eine sensible (gendergerechte, nicht diskriminierende) Sprache im Alltag zwar für unterstützenswert, findet jedoch, dass diese in der Literatur keinen Platz hätte. 

Im Falle des * sehe ich das genauso – es gehört für mich nicht in belletristische Texte. Und natürlich darf ich, als weiße Hetero-Schriftstellerin, beispielsweise die Romanfigur eines schwarzen homosexuellen Mannes kreieren. Das würde ich mir von keinem Lektorat, Verlag, Lesenden oder von Black live matters-Aktivist*innen verbieten lassen. Ich muss eben nur darauf gefasst sein, dass mir die Ewig-Aufgeregten im Internet einen Shitstorm an den Hals schreiben. So what? Wenn ich (vermeintliche) Empfindlichkeiten treffe, sollte ich entscheiden können, ob die Reaktionen ein Skandal um des Skandals Willen sind oder ob ich mich im Einzelfall wirklich bei jemandem entschuldigen sollte. So einfach ist das. Da sollte auch Frau Menasse nicht gleich den »Untergang der abendländischen Kunstfreiheit« herbeischreiben.

Halten wir fest: Verbote, Zensur, die Zerstörung oder Verbannung eines strittigen Kunstwerkes sind im Sinne der Kunstfreiheit sinnlos. Die gewonnenen Erkenntnisse aus dem Diskursprozess über ein provokantes Kunstwerk sind das Entscheidende und bringen die Gesellschaft weiter.

Also, liebe Künstler*innen: Schafft weiter viele, die Grenzen der Kunstfreiheit austestende Kunstwerke!

Übrigens haben, mit Ausnahme von Biller, alle oben Genannten juristisch Recht bekommen. Sogar Meese mit seinem mehrfachen Zeigen des »Hitlergrußes«.

Ich war nie politisch korrekt, es reichte mir menschlich korrekt zu sein.

— Helge Timmerberg
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